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AutorenbildChristina Kuenzle

Braucht es Vertrauenswürdigkeit für Vertrauen?

Aktualisiert: 16. Apr.

Wem oder was vertraust Du? Bist Du denn selber vertrauenswürdig? Wo sind die Grenzen, Deiner Vertrauenswürdigkeit? Wie gehst Du um mit Menschen, die Dir nicht vertrauen? Vertrauen ist eines der am meisten inflationär verwendeten Wörter. Wir fordern Vertrauen ein wie Rückgeld im Tante Emma Laden, doch geben tun wir es nur sehr selektiv und begrenzt. Mit Recht? Hätten wir mehr Vertrauen, dann hätten wir weniger Angst, doch das Leben lehrt uns, dass Vertrauen nicht immer angebracht ist. Ist Kontrolle also doch besser als Vertrauen?


Vertrauenswürdigkeit


Vor ein paar Jahren hätte ich den Satz: „Vertrauen ist gut ….. Punkt!“ noch vorbehaltlos unterschrieben. Ich habe auch immer „grosses Vertrauen“ und „kleines Vertrauen“ unterschieden, wobei grosses Vertrauen das Vertrauen ohne Sicherheit und Rückhalt bedeutet, kleines Vertrauen nur, wenn ich kontrollieren und prüfen kann und damit eine relative Sicherheit bekomme, dass mein Vertrauen auch gerechtfertigt ist und kein wesentliches Risiko birgt: Kleines Vertrauen halt und damit eigentlich kein Vertrauen. Plädiert habe ich immer für grosses Vertrauen, denn das schien mir das einzig wertvolle und richtige Vertrauen zu sein.


Das Leben hat mich in der Zwischenzeit Anderes gelehrt…… ich habe Experten vertraut, die versagt haben, ohne dafür die Verantwortung zu übernehmen. Ich habe Menschen vertraut, die mich im entscheidenden Moment verraten oder hängenlassen haben. Ich habe auf das Gute vertraut, dass es am Ende immer siegen möge. Ich habe dem Staat vertraut, dass er/sie/divers seine Bürger schützen möge und das Beste für sie tue. Ich habe den Medien vertraut, dass sie die Dinge hinterfragen, die vierte Macht im Staat wären und Dinge publik machten, die nicht in Ordnung sind. Nun ja, man lernt dazu und ich habe mir viele Gedanken gemacht zu Vertrauen, auch zu meinem Vertrauen und meiner Vertrauenswürdigkeit.


Hätte Chat GPT den Artikel geschrieben und nicht ich, dann hiesse es jetzt, dass Vertrauen die Grundlage jeder Beziehung ist, dass Vertrauen essenziell sei für eine erfolgreiche Zusammenarbeit und ein erfülltes Leben, etc. Recht hat ChatBox! Vertrauen steht ja auch in fast jedem Leitbild und zerstörtes Vertrauen ist Ursache grosser Enttäuschungen und tiefem seelischen Schmerz. Vertrauen ist einer jener Metawerte, die universell gültig und jedem Menschen teuer sind. Ohne Vertrauen wäre das Leben voller Kontrolle, Skepsis, Misstrauen und Argwohn. Wäre? – Schau um Dich! – Das Leben ist voller Kontrolle, Skepsis, Misstrauen und Argwohn! Vielleicht erinnerst Du Dich an Walt Disneys Dschungelbuch: Die Schlange Kaa hypnotisiert Mogli mit den Worten: „vertraue mir“! Sie meint es nicht gut mit ihm….. Nicht alle meinen es gut mit uns….


In der heutigen Zeit, in der Fake fast nicht mehr von Wirklichkeit zu unterscheiden ist, in der Businessmodelle unermesslich reich machen können, wenn sie nur gross genug angelegt werden, in der alles gekauft werden kann – auch Vertrauen, Einflussnahme und Meinungsbildung – tun wir wohl gut daran, uns sehr sorgfältig zu überlegen, wem oder was wir vertrauen können, und uns gleichzeitig überlegen, wie weit unsere eigene Vertrauenswürdigkeit geht. Nur wo Täuschung ist, kann Enttäuschung entstehen. Täuschen tun wir wohl vor allem uns selber, in dem wir zu wenig kritisch hinschauen, uns Projektionen hingeben, Verantwortung abgeben und Idealen nachhängen. Täuschung ist auch die eigene Selbstüber- oder -unterschätzung. Das ist nicht Vertrauen, sondern nur dumm, wenn auch verständlich und menschlich.


Wir können verschiedene Arten von Vertrauen unterscheiden:


1) Urvertrauen, d.h. die innere Ueberzeugung, dass es das Universum gut meint mit uns und dass am Ende alles gut kommt, weil es sonst nicht das Ende ist. Es gibt Menschen, die dies tief in sich tragen als unzerstörbares Gut. Oft vertrauen solche Menschen auf eine höhere Intelligenz oder Macht, welche eine schützende

und regelnde Funktion innehat und dafür sorgt, dass es gut kommt. Wenn Du zu dieser Gruppe gehörst, dann kann man Dich nur beneiden, denn das ist eine ungeheure Kraft mit der Du zwangsläufig sehr stark, erfolgreich, optimistisch und ein Segen für Dich und Deine Umgebung bist.


2) Vertrauen in Menschen. Du gehst offen auf Menschen zu und schenkst ihnen Dein Vertrauen so quasi als Vorleistung, bis sie Dich überzeugen, dass es nicht angebracht war. Wir alle suchen solche Menschen als Partner, Freunde, Vorgesetzte und Bezugspersonen! Vertrauen ist ein Geschenk, genau wie Liebe. Wir müssen uns erstmal nicht „würdig“ erweisen, wir müssen auch nichts zurückgeben, sondern vorwärts geben, d.h. in diesem Fall auch zu einem Menschen werden, der vertraut. Doch hier ist es ganz wichtig, dass wir uns selber nicht überfordern. Vertrauen und Liebe dürfen und können nicht eingefordert werden und so ist es auch möglich, dass wir nichts zurückbekommen. Deshalb nur so weit lieben und vertrauen, dass wir auch im Fall des „Supergaus“ – missbrauchtem Vertrauen und verratener Liebe - noch überleben und weiter existieren können, falls uns das wichtig wäre. Wenn wir jemanden ein Weihnachtsgeschenk geben, dann erwarten wir ja auch nichts zurück, sondern geben einfach, um dem Andern eine Freude zu machen. Wir geben nicht mehr als wir uns zumuten können und genau so sollte es auch mit Vertrauen und Liebe sein. Natürlich ist es so, dass wir mehr geben können, wen

n wir viel zurückbekommen, aber erwarten sollten wir das nicht.


3) Vertrauen in Organisationen und Dinge. Hier ist unreflektiertes Vertrauen wohl nicht angesagt. Prüfe, wofür diese Dinge und Organisationen geschaffen wurden. Versuche herauszufinden, was deren Agenda und/oder Zweck ist. Analysiere sorgfältig, ob das, was dem Produkt oder der Organisation zugeschrieben wird, respektive sie von sich selbst behauptet, konsequent umgesetzt und in der Wirklichkeit über Zeit sichtbar wird. Das kann sich auch ganz leicht ändern, wenn sich die Führung, Eigentumsverhältnisse und/oder Strategie ändern. Organisationen erliegen ab und zu der Versuchung, in erster Linie für sich selbst zu sorgen, und in zweiter Linie Nutzen zu bringen, statt umgekehrt. Das kann übrigens auch für Einzelpersonen gelten… Vertrauen wir solchen Gebilden blind, dann folgt nicht selten die Enttäuschung.


4) Vertrauen in die Zukunft. Dies ist eine sehr zentrale Form von Vertrauen: schwierig, aber unabdingbar wichtig. Niemand kann die Zukunft vorhersehen, aber wir können sie bewusst gestalten; zwar nicht vollumfänglich, aber doch entscheidend, trotz unseren begrenzten Möglichkeiten. Wir können lernen, das zu manifestieren, was wir uns wünschen und was wir brauchen, denn die Zukunft selber hat unbegrenztes Potenzial. Theoretisch ist somit alles möglich! Wenn wir unserer Zukunft offen und vertrauensvoll begegnen, dann schaffen wir mit Sicherheit mehr von dem, was uns wichtig ist, als wenn wir uns angstvoll vor möglichen Risiken und Unwegbarkeiten schützen. Du kennst sicher den Ausdruck „selffulfilling prophecy“: Was in unserem Leben geschieht und was wir wahrnehmen ist eine Frage des Fokus‘, den wir einnnehmen. Das meiste, was uns Angst einjagt, wird ohnehin nicht eintreten. Mit dem, was uns widerfährt – vieles davon ist nicht vorhersehbar – werden können wir umgehen können, denn wir haben die Fähigkeiten dazu, und wenn wir wirklich Hilfe brauchen, dann wird sie auch verfügbar sein.


5) Vertrauen in uns selbst. Ja, wer soll uns denn vertrauen, wenn wir uns selbst nicht vertrauen? Ist denn unsere Vertrauenswürdigkeit so klein, dass sie nicht einmal über unseren Skalp hinaus reicht? Ja, wir haben Grenzen und ja, auch unsere Vertrauenswürdigkeit ist endlich und ja, wir sind leider nicht omnipotent, aber ein bisschen etwas dürfen wir uns schon zutrauen, denn wir wachsen nur an den Grenzen, nicht in der Komfortzone. Um uns aber in diese Wachstumszone vorzuwagen brauchen wir ganz viel Vertrauen in unsere Fähigkeiten, in unseren Charakter und manchmal auch in den Kontext. So halte ich es mit Mary Lou Retton:

„Optimismus ist ein Glücksmagnet. Wenn Du positiv bleibst, dann ziehst Du gute Dinge und gute Menschen an“.


Vertrauen ist also nicht gleich Vertrauen. Unsere Intelligenz und unsere Intuition helfen uns, zu entscheiden, wann wo und wieviel angebracht, sinnvoll und gut ist. Natürlich ist es schöner und besser, wie ein Kind voller Vertrauen auf die Welt und Menschen zu blicken, aber vermutlich leben wir länger und besser mit einer Prise Skepsis und einer grossen Dosis Umsicht. Vielleicht ist es mit Vertrauen wie mit vielen Dingen: Mass halten und Nebenwirkungen abwägen, um Schäden zu verhindern und das Optimum zu finden.


Christina Kuenzle

Executive Coach und Symbolon-Spezialistin, Zürich


Bildnachweis: Shutterstock


Dieser Artikel ist im Oktober 2023 im Businessmagazin Ladies Drive erschienen.

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