Ist geben seliger als nehmen?
- Christina Kuenzle
- 14. Aug. 2014
- 8 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 17. März
Bevor Millionen gespendet werden, werden auch Millionen „verdient“
Immer mehr vermögende Männer und Frauen haben das „Zurückgeben“ entdeckt. Sie gönnen, sponsern, spenden, schenken und unterstützen. Von hungernden Kindern in Afrika über kranke Menschen in Indien bis zu Bären, Delphinen und Wäldern. Betrachten wir dieses Phänomen etwas genauer, dann fragen wir uns: wem genau hilft denn diese große Freizügigkeit? Macht es Sinn oder fördert es Unabhängigkeit? Fühlt sich der Spender oder der Beschenkte besser nach der Aktion? Was sind die langfristigen Konsequenzen?
Geschenke mit und ohne Ketten
Warum gibt es so viele Ausdrücke für das Weggeben von (meistens) Geld oder Zeit? Wahrscheinlich, weil der Vater des Gedankens sehr unterschiedlich sein kann. Betrachten wir die Geschenke etwas genauer, dann sind sie oft nicht ganz so altruistisch, wie man auf den ersten Blick annehmen könnte….. Schenkt zum Beispiel Steve Jobs den Primarschulen Work Stations, dann ist das ein genialer Schachzug, denn die Kids lernen auf Mac’s arbeiten und was denn kaufen sie, wenn Sie ihre ersten eigenen Labtops anschaffen? Warum würde ein bekannter Politiker Ferienlager sponsern? Und warum heisst ein Spital „Dorothea Muster Klinik“? Anderseits gibt es die anonymen Spender, die nicht genannt sein wollen und einfach im Hintergrund Gutes tun, da wo sie denken, dass es Sinn macht.
Wir unterscheiden also Geschenke, die selbstlos sind und solche, die sich durchaus „lohnen“ für den Schenkenden, denn sonst würden die Stiftungen nicht aus dem Boden schießen wie die Pilze im Herbst und sie würden auch nicht die Namen der Stiftungsgeber tragen. Doch sind Geschenke mit Rückwirkung nicht immer noch besser als keine Geschenke?
Wie so viele Trends kommt auch dieser aus den USA und das nicht von ungefähr, denn das Sozialsystem ist in den USA weit weniger gut ausgebaut als bei uns. So ist die tertiäre Ausbildung der Kinder für eine Familie eine große bis untragbare Belastung – Universitäten kosten bis zu 50’000 US$ pro Jahr – und Spendenbeiträge der Alumni helfen, Stipendiate zu vergeben und Investitionen zu tätigen, um die finanzielle Belastung für „Sub-Reiche“ zu erleichtern. Der Staat sieht sich für weniger zuständig als in den sozialistischeren Staaten und so kommen Parks, Zoos, Krippen und kulturelle Institutionen oft nur zustande, weil ein potenter Geldgeber dafür zu gewinnen war. Diese werden auch entsprechend gefeiert und verehrt, was ein ziemlich gutes Gefühl gibt. Natürlich haben geschäftstüchtige Institutionen auch in unserem Lande herausgefunden, dass da viel Geld zu holen ist, und so hat sich das „Fundraising“ zu einem neuen Geschäftsbereich entwickelt. Damit wird nicht zuletzt auch an den Narzismus der Wohltäter appelliert und deren Ego gestärkt. Auch in der Schweiz gilt natürlich, dass teure Institutionen, vor allem kultureller Art, die durch ihren hohen Anspruch an Bildung und Exklusivität nicht einfach so auf die Steuerzahler überwälzt werden können, von den mehr oder weniger anonymen Donatoren „leben“. Gedankt sei’s ihnen an dieser Stelle, denn darunter sind viele, von denen man weder den Namen, noch die Höhe ihrer Beiträge kennt. Ohne sie wären wir um einiges ärmer.
Trotzdem bleibt manchmal ein etwas schales Gefühl, denn bevor Millionen gespendet werden, werden auch Millionen „verdient“. Das große Lohngefälle, dass auch in der Schweiz herrscht, bringt Ungerechtigkeit mit sich und viel von der Armut, mit der wir als Volk leben, wäre vermeidbar, wenn wir hier eine ausgeglichenere Rechnung hätten. Initiativen, die vom tiefsten zum höchsten Gehalt einen Faktor 12 vorsehen, sind in der heutigen Zeit etwas extrem, aber so falsch nicht. Ursprünglich war ein Richtwert in Gehaltsmodellen der Faktor 20, d.h. wenn der/die schlechtest bezahlte Mitarbeitende Fr. 1’000.- verdient, dann verdient der/die Bestverdienende Fr. 20’000.-. Heute haben wir Faktoren von über 1000! Die sogenannten Einkommensmillionäre – von denen wir in der Schweiz doch eine beträchtliche Anzahl haben – verdienen in einem Jahr soviel wie Durchschnittsmenschen in ihrem ganzen Leben. Dürfte man da nicht erwarten, dass sie ab und zu ein paar Krümelchen zurückspielen?
Unfaire Einkommens-Verteilung ist gefährlich
Initiativen wie „occupy Wallstreet“, teilweise auch der arabische Frühling, selbst der nicht ganz so religiös geprägte Krieg in Nordirland, die Apartheidbewegung und die französische Revolution haben mit unfairer Geldverteilung zu tun, die nur möglich ist, wenn die Macht zentralisiert wird. Soziale Unruhen bis zu Bürgerkriegen sind direkt sichtbare Konsequenzen. Schleichende Unzufriedenheit, Loyalitätszerfall, Sabotage und viele Arten von Neid und Eifersucht bis zu Hoffnungslosigkeit und Depression sind da weit weniger sichtbar, doch trotzdem spürbar. Der Trend zum Ausnutzen des Arbeitgebers, des Staates oder der Sozialwerke und Versicherungen geht zum Teil auf die wahrgenommene Unfairness zurück.

Schenken ist fair!
Sensible Menschen, die vom Glück reich verwöhnt sind und Chancen im Leben bekommen und ergriffen haben, spüren dies und möchten vielleicht deshalb, dass es anderen auch gut gehen möge. Die höchste Verhaltensrichtlinie im Buddhismus sagt: „Möge es allen fühlenden Wesen gut gehen und mögen sie frei von Schmerz sein “. Implizit liegt darin die Aufforderung, dazu beizutragen, wo immer dies möglich ist. Schenken – nicht nur Geld, sondern vielleicht noch wichtiger Zeit, ein offenes Herz, Mitgefühl und ein geduldiges Ohr – hilft, das Gefälle von Glück und Unglück, von Reichtum und Armut, von Gesundheit und Krankheit etwas auszugleichen. Selbstloses Schenken ist Dienst am Nächsten, so wie er/sie das im Moment am nötigsten braucht. Schenken ist nicht mehr als fair, solange es mir vergönnt ist, mehr zu haben als andere. Es geht dabei nicht darum, ein „Gutmensch“ zu sein, sondern einfach darum, auszugleichen und für die Gesamtheit zu optimieren.
Schenken tut gut!
„Der Schüler muss mit dem Geben beginnen“ heißt es in den Grundlagen der Mysterienschulen. Wie kann ich aber mit dem Geben beginnen, wenn ich selbst nichts habe? Es geht dabei viel mehr um den Grundsatz der Großzügigkeit und des Teilens. Erst wenn ich bereit bin, abzugeben, dann ziehe ich Gutes an. Wollen wir „beim Universum bestellen“, dann wird dies umso erfolgreicher sein, in dem wir auch uns selbst zum Spender machen. Erkenntnisse, die mittlerweile nicht mehr neu und schon mehrfach verifiziert sind, belegen, dass es uns umso besser geht, je mehr wir für andere und mit anderen tun können. Helfen wir anderen, dass es ihnen besser geht, dann geht es uns selbst auch besser, denn „what goes round comes round“.
Joachim Bauer, der deutsche Molekularbiologe und Psychotherapeut kommt in seinen Forschungen zum selben Schluss: dass es uns Menschen nur richtig gut geht, wenn wir Dinge für andere tun, die diese schätzen, oder wenn wir Dinge erfolgreich mit anderen zusammen unternehmen. Die glücklich machenden Botenstoffe im Gehirn, die Endorphine, werden nur in Bezug zu anderen in hohem Mass ausgeschüttet.
Welchen Sinn wir dem Leben geben, ist eine Sache unserer Bedürfnisse
Der Sinn des Lebens (respektive der Sinn, den unser Leben hat) hängt nicht zuletzt von der Erfüllung der Bedürfnisse ab, die gerade anstehen. Zentral dabei ist, dass wir diese spüren, erkennen, kommunizieren und realisieren. Das bringt uns sehr schnell zu den Themen „Authentizität“ und „Zivilcourage“. Stehen wir zu den Bedürfnissen, die wir spüren und erkennen? Getrauen wir uns, unsere Bedürfnisse mitzuteilen, auch wenn sie als uncool beurteilt werden könnten von anderen – oder noch schlimmer: von uns selbst? Fordern wir unsere Bedürfnisse gegen die starken und vielseitigen Bedürfnisse unserer Mitmenschen ein?
Vielleicht ist die Sinnkrise, die viele Menschen zurzeit erleben, keine Sinn-, sondern eine Bedürfniskrise, insofern als wir diese nicht klar erkennen, oder nicht genügend verwirklichen können. In meinen Coaching-Mandaten, wie auch in meinem Leben geht es oft um Akzeptanz- und Dominanzbedürfnisse. Es geht um Wertschätzung, Anerkennung, Zugehörigkeit und Einbezug, also die dritte Bedürfnisebene von Maslow! Solange diese Ebene nicht erfüllt ist, dient das „selbstlose Dienen“ nicht dem anderen, sondern uns selbst, denn wir suchen damit letztlich nichts anderes als Anerkennung und Zuwendung. Die meisten Frauen und Männer kennen diese Stufe sehr gut. Erst wenn wir da einigermaßen gut aufgefangen sind, kommen wir zur nächsten Stufe, der Dominanz. Hier geht es darum, die Dinge im Griff zu haben, Herr über das eigene Leben zu sein, andere und die Umwelt beeinflussen zu können, die Geschicke zu führen und zu lenken. Auf dieser vierten Stufe dienen wir immer noch nicht: Wir erfahren unsere Macht! Das ist das typische Umfeld von Managern und Politikern. Auch in der nächsten Stufe geht es noch nicht um selbstloses Dienen, sondern darum, das zu tun, was wir möchten, uns selbst zu verwirklichen und unser Potenzial zu realisieren. Viele Künstler und Wissenschaftler arbeiten auf dieser Stufe. Das Erkennen unserer Bedürfnisse ist auf der fünften Stufe der Schlüsselerfolgsfaktor per se, denn ohne dass wir unsere Bedürfnisse klar erkennen, können wir sie auch nicht erfüllen. Erst wenn wir es geschafft haben, uns selbst zu realisieren und unsere eigenen Bedürfnisse zu leben sind wir bereit, anderen zu helfen, ihre Bedürfnisse zu verwirklichen. (Ganz so sequentiell ist es im richtigen Leben nicht, da wir uns auf der Maslowschen Pyramide munter nach oben und unten bewegen, je nachdem was im Moment ansteht).
Echte und Ersatzbedürfnisse unterscheiden!
Die großen und wesentlichen Bedürfnisse der Menschen, wie zum Beispiel das Bedürfnis nach Liebe, nach Gesundheit oder nach Weisheit, lassen sich nicht immer so leicht befriedigen. Intensive Arbeit, langwieriges sich damit Befassen, Geduld und Demut sind angesagt. Manchmal sind wir gefordert, unsere Machtlosigkeit zu akzeptieren und geduldig auf günstigere Gelegenheiten zu warten. Manchmal übersteigen die Bedürfnisse unsere (gegenwärtigen) Möglichkeiten und es gilt, die Grenzen zu akzeptieren. Was tun wir? – Wir greifen zu Ersatzlösungen! „Candy store solutions“ in Englisch. Das heisst, wir befriedigen unsere Bedürfnisse auf eine einfachere und billigere Weise, in dem wir uns mit Dingen belohnen, die ohne Umstände zu haben sind. Die Schokoladen- und Schmuckindustrie leben davon, aber auch die Unterhaltungsbranche und ein grosser Teil der Textil- und Autoindustrie. Es geht um Konsum oder „Retail Therapy“. Der Vorteil dieser kurzfristigen, leichten Bedürfniserfüllung liegt auf der Hand; ihr Nachteil: sie ist nicht nachhaltig und kann sogar abhängig und süchtig machen. Unerfüllbare, schwer zu realisierende Bedürfnisse auszuhalten, braucht Disziplin, Geduld, Ausdauer, Kraft und langfristige Zielorientierung – alles Elemente emotionaler Intelligenz.
Das Cliché stimmt…..
Kürzlich durfte ich eine Gruppe hochrangiger Managerinnen der Finanzdienstleistungsbranche coachen. Was mir an ihnen zuerst auffiel waren die großen, hochweißen, lupenreinen, perfekt geschliffenen Diamanten, die Ohren, Hals, Finger und Armgelenke zierten. Sie passten ideal zu den arrivierten Damen und schienen deren Qualitäten zu spiegeln. Das Zweite war die Haarfarbe, die fast ausschließlich platinblond war. Die schlanken Figuren in teuren schwarzen Hosenanzügen, weisse Blusen und Pumps schienen ebenfalls normiert, wie auch die sorgfältig gepflegten Gesichter (Augenbrauen schwarz und winkelgenau gezupft) und Hände (unauffälliger Nagellack, french). Doch lebten diese Powerfrauen mit ihren siebenstelligen Gehältern ihre Bedürfnisse? Standen sie wirklich zu sich und ihren Prinzipien? Was waren denn die Bedürfnisse dieser Damen? Spürten sie sie? Getrauten sie sich, zu ihren Bedürfnissen zu stehen? Sicher geniessen sie eine hohe Akzeptanz in der Gesellschaft! Sie haben es geschafft und sind da, wo viele hin wollen. Sicher haben sie auch einen grossen Teil ihres Lebens im Griff! – Sie führen, sie haben Einfluss, sie entscheiden. Bestimmt sind sie auch freiweillig da, wo sie sind, denn sie könnten jederzeit aussteigen. Aber wie erklären wir uns diese hohe Anpassung und Normierung? Ist sie der Preis, um „mitspielen“ zu dürfen? Sind die Insignien der Macht und des Erfolgs das Ziel oder die „candy store solutions“? – oder möchten sie einfach akzeptiert werden, Teil sein von etwas Erfolgreichem oder zur Elite gehören?
Diese Frage stelle ich mir auch bei Charity-Projekten und Non-Profit-Unternehmungen: Wofür dienen sie? Worum geht es wirklich?
Viele Menschen und Organisationen haben sehr viel erreicht, so dass sie einen großen Wunsch empfinden, etwas zurückzugeben und anderen zu helfen. Einige suchen darin einfach Akzeptanz….. Dafür ist das, was wir für andere tun, sehr geeignet, nur selbstlos ist es nicht. Doch stärkt uns das, was wir für andere tun noch weit mehr, als das was wir für uns selbst tun (so lange wir auch für uns selbst sorgen), denn was wir für andere tun, das kommt mehrfach zu uns zurück. In dem wir Dinge gemeinsam erarbeiten, in dem wir „stakeholderorientiert“ agieren, in dem wir für die Gemeinschaft optimieren, schaffen wir nicht nur Resultate, sondern auch Goodwill und Wohlbefinden.
Ein kürzlich durchgeführtes Forschungsprojekt hat gezeigt, dass Menschen, die vorgängig ein positives Erlebnis hatten, viel gewillter sind, anderen zu helfen, als Menschen, die vorgängig ein Negatives Erlebnis hatten. Wenn wir helfen, dass es der Gesamtheit besser geht, dann geht es auch uns selbst – als Teil dieser Gesamtheit – besser. Wenn wir die Gemeinschaft an unserem Erfolg teilhaben lassen, dann haben wir auch weniger Neider. Wenn wir ganzheitlich denken und agieren, dann werden wir zur Quelle von Glück, Freude und Wohlstand, was uns weit mehr gibt, als was wir gegeben haben. So ein Zitat des Dalai Lamas:
If you want others to be happy, practice compassion.
If you want to be happy, practice compassion.
Willst Du andere glücklich machen, praktiziere Mitgefühl. Willst Du glücklich sein, praktiziere Mitgefühl!
Christina Kuenzle
Symbolon-Spezialistin, Zürich
Bildnachweis: © Shutterstock
Dieser Artikel ist im Businessmagazin Ladies Drive erschienen.
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